Nur geträumt: Die Plaza am Atzelberg
So hatte man sich die Neugestaltung des Atzelbergplatzes in Frankfurt-Seckbach vermutlich nicht vorgestellt: „Viel grauer Beton“, „Trist bleibt trist“ und „Warnung vor enormer Unfallgefahr“ titelte die Lokalpresse zur Eröffnung im September 2015. Anwohnerinnen und Anwohner, die zuvor intensiv an den Planungen beteiligt wurden, nannten die Neugestaltung „deprimierend“ und „hässlich“. Schließlich erhielt die Kontroverse um den Platz auch bundesweit Aufmerksamkeit – durch einen Beitrag der Satiresendung extra 3 in der Reihe „Realer Irrsinn“. Was war passiert?
Die Planung der 1960er-Jahre
Der in den 1970er-Jahren an zentraler Stelle der Großwohnsiedlung am Atzelberg angelegte Platz stand schon längere Zeit in der Kritik. Bereits Ende der 1990er-Jahren sprach sich der Ortsbeirat dafür aus, ihn ins Frankfurter Programm zur Verschönerung öffentlicher Plätze aufzunehmen. „Der Stein der Platten und Stufen bröckelt, die Läden am Rand werden eher schlecht als recht genutzt, kein Grün mehr in den dunklen Ecken, die Passanten queren den Platz eilig und meiden ihn bei Dunkelheit“, schrieb die FAZ (26.10.2006). Zunehmend war auch von sozialer Verwahrlosung die Rede: „Am Anfang standen pöbelnde Jugendliche und verängstigte alte Menschen. […] Auf der Mängelliste standen ferner zunehmende Anonymität und eine schwieriger werdende soziale Mischung. […] Insbesondere von den dort häufig zusammensitzenden oder mit lauten Mopeds herumfahrenden Jugendlichen fühlten sich Bürger bedroht” (FAZ, 20.3.2008).
Ein Blick auf das Umfeld des Platzes offenbart darüber hinaus grundlegende städtebauliche Mängel. Da ist zum einen die räumliche Struktur der Atzelbergsiedlung, die in den 1960er-Jahren vom Seckbacher Architekten Hans Faber entworfen wurde. Ihre offene Bauweise und die locker zu beiden Seiten der Atzelbergstraße gruppierten Baukörper erinnern an das 1949 von Walter Schwagenscheidt entwickelte Konzept der „Raumstadt“, das ihm einige Jahre später als Leitbild für die Nordweststadt dienen sollte. So besteht auch die kleinere Atzelbergsiedlung aus kurzen Zeilenbauten und Punkthäusern, darunter drei bis zu 17-geschossige Wohnhochhäuser. Die Häuser folgen mal dem Straßenverlauf, mal wenden sie sich von ihm ab. Die unklare Raumbildung setzt sich am Atzelbergplatz fort: Unterschiedliche Gebäudehöhen, versetzte Baukörper, die Aufweitung der zum Platz führenden Wege sowie Fassaden, die ihm teilweise den Rücken zukehren, erzeugen ein diffuses Raumgefühl – mehr Restfläche als Quartiersplatz. Läden, Cafés oder Kioske wurden nach Fabers Plan überwiegend im Umfeld des Platzes, an den Zuwegungen, angeordnet. Entstanden ist ein Platz „ohne Funktion“, dessen Leere mit Pflanzbeeten und unterschiedlichen Betonplateaus kaschiert werden sollte.
Ein Effekt dieser Struktur ist die schroffe Abgrenzung der Atzelbergsiedlung mit ihren 3.000 Einwohnerinnen und Einwohnern vom alten dörflich geprägten Seckbach. Durch ihren anderen Maßstab, die höhere Dichte und die offene Bauweise wurde ihr von Anfang an eine Sonderstellung zugeschrieben. Die trennende Wirkung wird durch die Geländetopografie verstärkt: der Atzelberg ist eine Anhöhe, die im Bereich des Platzes eine Umfassungsmauer erforderlich macht. Auch deshalb verirren sich nur selten Bewohner des tieferliegenden alten Seckbachs hierhin. Dabei erträumte sich Faber den 6.000 Quadratmeter großen Atzelbergplatz einst als zentralen Quartiersplatz mit den Qualitäten einer südlichen „Plaza“ (ein Begriff der später erneut auftauchen wird) sowie als Gelenk zwischen Siedlung und Dorfkern – endlich ein Platz für das „Straßendorf“ Seckbach.
Die erste Planungswerkstatt
Als Reaktion auf die Berichte über den „sozialen Brennpunkt“ Atzelbergsiedlung – die im Rückblick etwas übertrieben erscheinen –, traf die Stadt 2007 einen Beschluss: ein Quartiersmanagement sollte eingesetzt und die erste kommunale Planungswerkstatt als Modellprojekt für Bürgerbeteiligung eingerichtet werden. Ein Jahr später nahm sie ihren Dienst auf. Im Mittelpunkt stand eine neue Platzgestaltung, die Aufwertung der Zugänge sowie die Themen Quartiersvernetzung und Nahversorgung. 2009 wurden erste Ergebnisse präsentiert: Der Atzelbergplatz sollte ein lebendiger Quartiersplatz werden, mit mehr Grün und einem Wasserspiel, wo man im Sommer im Schatten sitzen und den Blick bis in den Spessart genießen kann, die Zugänge sollten barrierefrei umgestaltet werden. Ideen, die anschließend in ein städtebauliches Konzept überführt und 2011 der Stadtverordnetenversammlung zum Beschluss vorgelegt wurden.
Die Vorlage zur „städtebaulichen Neuordnung des Areals zwischen Atzelbergplatz und der Wilhelmshöher Straße“ betont, dass die vorgelegten Planungen auf den „breit getragenen Ergebnissen der Planungswerkstatt“ basieren. Die darin skizzierten Lösungen umfassen als „integriertes Gesamtkonzept“ vier Elemente. Zum einen die Neugestaltung des Atzelbergplatzes, bestehend aus mehreren Maßnahmen: Differenzierung zwischen Bewegungs- und Aufenthaltsflächen, eine multifunktional nutzbare Mitte mit Bodensprudler, die Akzentuierung der Ränder (und damit Korrektur der fehlenden Raumbildung) sowie barrierefreie Zugänge über Rampenanlagen und ein neues Café. Zum zweiten den Neubau eines „Leuchtturm“-Gebäudes, welches das tieferliegende Areal der katholischen Maria-Rosenkranz-Gemeinde mit dem Atzelbergplatz verbindet, unten und oben über einen Aufzug barrierefrei zugänglich macht, und das Cafè beherbergen sollte. Zum dritten soll das Rosenkranz-Areal zu einem Kirchplatz umgestaltet werden und somit eine Wegeverbindung von der Wilhemshöher Straße (altes Seckbach) zum Atzelbergplatz geschaffen werden. Der vierte Baustein war der Neubau eines Wohn- und Geschäftsgebäudes mit Supermarkt zwischen „Kirchplatz“ und Wilhelmshöher Straße, der die Nahversorgung verbessern und somit (obwohl im unteren Bereich angeordnet) dem Atzelbergplatz „ein Stück seiner alten Bedeutung zurückgeben“ sollte.
Die zweite Atzelberg-Plaza
Der Plan, den unwirtlichen Platz in der Hochhaussiedlung in eine belebte Mitte zu verwandeln, wurde unter dem Namen „Atzelberg-Plaza“ der Öffentlichkeit präsentiert. Baubeginn war im Mai 2013, knapp anderthalb Jahre später war es dann so weit. Im Beisein der Stadtpolitik wurde der neue Atzelbergplatz im Septemberregen eröffnet. Die Anwohnerinnen und Anwohner staunten nicht schlecht: Von einem „Leuchtturm“-Gebäude mit Café und Aufzug war nichts zu sehen, der geplante Supermarkt war schon 2012 durch eine Bürgerinitiative gestoppt worden, und der „Kirchplatz“ sowie die ursprünglich geplanten Wegeverbindungen waren so unwirtlich und vernachlässigt wie eh und je. Neu und ungewohnt war hingegen der Anblick einer über hundert Meter langen Betonwand, die als Ersatz für die alte sanierungsbedürftige Stützwand errichtet worden war. Die deutlich größeren Dimensionen ergaben sich durch die Anhebung des Platzes um 20 cm, die massiv ausgeführten Brüstungen – vor allem aber durch die knapp 50 Meter lange Rampe an der Ostseite, die anstelle einer Treppe nun den barrierefreien Zugang ermöglicht.
Frankfurter Mauer
Die überdimensionale Mauer bildete denn auch den Stein des Anstoßes – nicht nur, weil sie als bedrückend und deprimierend empfunden wurde, sondern auch, weil sie in der Planungswerkstatt offenbar nie zur Sprache kam. Die Teilnehmer fühlten sich überrumpelt, wie die Initiative „Seckbach Atzelbergplatz“ in einem offenen Brief darlegte. In der Beschlussvorlage des Magistrats wird die Mauer nur beiläufig auf der letzten Seite erwähnt – zur Erklärung des auf 4,15 Mio. Euro beschränkten Kostenrahmens: „Darin enthalten sind auch die Kosten für eine neue Stützwand im Bereich des sogenannten Leuchtturm-Gebäudes“. Die gravierende Wirkung der Konstruktion war also weder für die Teilnehmer der Planungswerkstatt noch für die Stadtverordneten erkennbar, als sie über den Entwurf abstimmten. Zwar wurde die Umgestaltung des Platzes visualisiert, doch Aussehen und Wirkung lassen sich daraus gerade nicht ablesen. Dabei ist sie nicht nur der prägnanteste Teil der Neugestaltung, sondern hätte als Platzwand eines ursprünglich angedachten Kirchplatzes eine städtebauliche Schlüsselfunktion gehabt. Vor allem aber widerspricht die Mauer – besonders in der Art und Weise, in der sie errichtet wurde – dem Ziel, oben und unten zu verbinden.
Kritik der Platzgestaltung
Auch die Gestaltung des Platzes wurde stark kritisiert: „Grauer Stein, graues Pflaster, viel Beton: Der neue Atzelbergplatz in Seckbach unterscheidet sich nicht wesentlich von seinem Vorgänger“, schrieb die Frankfurter Rundschau (23.9.2015). Tatsächlich präsentiert sich der neue Platz so uninspiriert und technokratisch, dass man ihn genauso gut auch ohne Beteiligung hätte planen können. Konkrete Wünsche, etwa nach einer Tischtennisplatte oder einer Schaukel, blieben weitgehend unbeachtet; allgemeinere, wie eine hohe Aufenthaltsqualität mit schattigen Sitzplätzen im Grünen, lassen sich – mit viel gutem Willen – in dem „Platanenhain“ an der Südseite des Platzes erkennen.
Unsere Aufnahmen von 2017 zeigen, dass selbst die wenigen Sitzbänke – die einzigen auf dem Platz – so positioniert sind, dass ein Aufenthalt im Sommer kaum möglich ist. Die Entscheidung für eine leere Mitte erweist sich als fragwürdig, begründet wurde sie mit einer „multifunktionalen Fläche“ für Wochenmärkte und Veranstaltungen. Doch dem Wochenmarkt erging es ähnlich wie zuvor schon dem Leuchtturm-Gebäude, dem Supermarkt und dem Kirchplatz: Nach einem kurzen Auftakt wurde er wieder eingestellt. Es bleibt die leere Mitte. Umso wichtiger wäre es gewesen, die Ränder wie geplant differenziert zu gestalten, um eine klare Raumbildung zu erreichen. Stattdessen entstanden bis zu 25 Meter lange Betonstreifen, die weniger für „Differenzierung“ sorgen, als vielmehr die Ränder von der Mitte abtrennen. Betritt man den Platz von Westen, sieht man zwei Betonstreifen hintereinander – eine weitere Barriere, die zur Unwirtlichkeit des Platzes beiträgt.
Die lange Rampe an der Ostseite verdeutlicht die Absurdität heutiger Planungen: Barrierefreiheit war das Ziel, doch die Umsetzung wird von vielen als abweisend und hinderlich empfunden. Ebenso abweisend wirkt das Farbkonzept, das alle Elemente in der beliebten Einheitsfarbe Grau hält – von der Stützwand über den Randstein bis zu den Blockstufen und Sitzpollern. Auch die Verteilung dieser Elemente wirkt zufällig und planlos – dasselbe Schicksal ereilte spätere Reparaturversuche: Sonnenschirme, Blumenkübel und „Grüne Zimmer“ wurden nach dem gleichen Prinzip verteilt.
Multiples Scheitern
Der Atzelbergplatz steht exemplarisch für das Scheitern der heutigen Stadtplanung, lebenswerte öffentliche Räume zu gestalten. Ob Rathenauplatz, Hauptwache, Martin-Luther-Platz oder Paul-Arnsberg-Platz – Platzgestaltung reduziert sich oft auf Flächenversiegelung, eine architektonische oder städtebauliche Handschrift fehlt. Noch schlimmer: Je stärker eine integrierte Planung beschworen wird, desto desintegrierter das Ergebnis. Am Ende bestimmen wenige Planungsparadigmen das Erscheinungsbild öffentlicher Räume. Ein immer wiederkehrendes Motiv ist etwa die „multifunktionale Mitte“, wonach der Innenbereich für diverse Veranstaltungen freigehalten werden soll – auch dort, wo weder Nachfrage nach Events noch ein entsprechender Flächenbedarf existiert. Ohne Frage müssen Plätze barrierefrei zugänglich sein; eine wirklich integrierte Planung sollte diese aber mit anderen Bedürfnissen vermitteln.
Allerdings scheitert nicht nur die Gestaltung, sondern vor allem auch die politische Steuerung. Im Falle des Atzelbergplatzes war die Neugestaltung nur eines von vier Zielen des „integrierten“ städtebaulichen Konzepts – drei davon sind gescheitert, und nur die Platzgestaltung wurde überhaupt umgesetzt. Die Gründe hierfür sind vielfältig; eine entscheidende Rolle spielen unterschiedliche Ansätze einer Public-Private-Partnership. So fehlte sowohl für das „Leuchtturm“-Gebäude wie auch für den „Kirchplatz“ eine tragfähige Finanzierung – beide Projekte sollten nach den Vorstellungen des Magistrats von der Kirchengemeinde oder einem privaten Investor getragen werden. Die Verantwortung für das Gelingen städtebaulicher Vorhaben wird mehr und mehr an private oder halprivate Akteure ausgelagert und die Kritik mit Gemeinplätzen („man muss dem Platz etwas Zeit geben“, „wenn die Mauer erstmal begrünt ist“) abgewehrt. Was bleibt ist ein 50 Jahre alter Traum: eine Plaza in Seckbach.